Autor und Verleger Jan Dimog von The Link Berlin im Interview | 10plus1 Fragen no. 24

Jan Dimog, foto: The Link Berlin

Jan Dimog, foto: The Link Berlin

Gerade weil Architektur so vielschichtig, raumgreifend und lebensbestimmend ist, werden wir ihr nur gerecht, wenn sie in Verbindung zu den Menschen steht.“

Jan Dimog ist Publizist, Drehbuchautor und Kurator mit Stationen in diversen Verlagshäusern und Agenturen in Deutschland sowie Afghanistan. Jan hat philippinische Wurzeln, ist in Westfalen aufgewachsen und seit 20 Jahren Wahlberliner. Sein Dokumentarfilm „Countdown Afghanistan“ wurde auf arte ausgestrahlt. Über Baukultur in Kabul und Slowenien hat er Architekturführer verfasst, letzteren mit Hendrik Bohle. Gemeinsam gründeten Jan und Hendrik das Digitalmagazin THE LINK Berlin. Ihr bislang umfangreichstes Projekt ist die Wanderausstellung „Gesamtkunstwerke – Architektur von Arne Jacobsen und Otto Weitling in Deutschland“. 

Als vielfältig interessierter Kulturjournalist und Publizist mag Jan es tiefgründig, informativ, unterhaltsam und mit Pep. Das gilt insbesondere für Stories über Baukultur. Fundierte und erhellende Geschichten über Menschen, Bauten und Orte zu schreiben, ist der Leitsatz von thelink.berlin. Das Magazin steht für Verknüpfungen, Zusammenhänge und Begegnungen.

1. Wärst Du nicht Journalist und Publizist geworden, dann...?
Wahrscheinlich Musiker. Ich war für einige Jahre Musikreporter und bin immer noch fasziniert von der Komplexität und zugleich Einfachheit, mit der uns Musik bewegt. Dabei spielt es für mich keine Rolle, ob es Bebop oder Elektro, Operette oder Beyoncé ist. Musik mit Qualität ist universell und schwer zu fassen, obgleich sie es schafft, uns zu ergreifen.

2. Wer sind Deine Vorbilder?
(Bau)Künstlerinnen und Künstler, die ihre Kunst beherrschen und zugleich souverän und stark genug sind, sich von ihr bestimmen zu lassen.

3. Welche Persönlichkeiten inspirieren Dich?
Souveräne, neugierige und gelassene Leute ohne ätzende „Been there, done that“-Attitüde.

4. Welche Bauwerke beeindrucken Dich?
Das große Ganze und die schönen Details. Dazu gehören für mich der nordische Funktionalismus von Arne Jacobsen und Otto Weitling und unsere thelink.berlin-Stories: Brutalismus in Bordeaux und Ljubljana, alpine Architektur in Südtirol, das Wall House von John Hejduk in Groningen und die niederländische Baukunst generell, die portugiesische Moderne, Ikonen der Montanbauten im Ruhrgebiet, Hyperarchitektur in den Vereinigten Arabischen Emiraten bis hin zu den vergessenen > Perlen der Provinz. Das ist eine meiner Lieblingsrubriken auf unserer Plattform.

 5. Welche Bücher, Serien oder Filme gefallen Dir?
Wenn ich könnte, wäre ich ein Binge-Watcher: Eine Serienfolge nach der anderen wegschauen, bis die Augen brennen. Die Realität ist abgefahren und verrückt, daher am liebsten Eskapismus pur: Fantasy, Science Fiction, Parallelwelt-Produktionen. Können aber auch Arthouse-Filme sein, Hauptsache andere Welten und Perspektiven.

6. Woher kommt die Deine Begeisterung für Architektur?
Zur Architektur bin ich über die Fotografie und Istanbul gekommen. Auf Reisen habe ich mich dem jeweiligen Ort mit der Kamera genähert und meistens Gebäude fotografiert. Eine sehr gute Wissensgrundlage bildete die mehrjährige Arbeit zum Architekturführer Istanbul, den ich zusammen mit Hendrik Bohle geschrieben habe. Wir haben uns bei dem Buch auf die Architektur des 20. Jahrhunderts und die zeitgenössischen Projekte am Bosporus fokussiert. Dabei fiel uns auf, wie eng etwa die türkische Moderne mit der deutschen und österreichischen verbunden war. Vor allem nach dem Machtantritt der Nazis, in dessen Folge viele und berühmte Architekten in die Türkei emigrierten, zum Beispiel > Bruno Taut.

Diese mehrschichtigen Verbindungen faszinieren mich seitdem. Architektur findet nicht im luftleeren Raum statt. Sie kann den Zeitgeist positiv spiegeln und wiedergeben, aber auch gesellschaftspolitischen Zwängen unterliegen. Das kommt mir leider zu kurz in der Auseinandersetzung mit Architektur. Vielleicht gehört Baukunst als Fach in die Schule.

 7. Worum geht es bei thelink.berlin?
THE LINK ist als Weiterentwicklung unserer Publikationen gedacht. Das Digitalmagazin haben wir vor fünf, sechs Jahren von Beginn mit den sozialen Medien gedacht. So vielfältig Architektur ist, so divers sollte sie digital begleitet, beschrieben und bewertet werden. Unser Leitgedanke war: Architektur vermitteln über die klassische Reportage in Verbindung mit Fotografie und den Social-Media-Kanälen.

8. Was hat es mit „Gesamtkunstwerke“ auf sich?
Mit der Wanderausstellung präsentieren > Hendrik Bohle und ich das Werk von Arne Jacobsen und Otto Weitling in Deutschland. Die > Schau wird in Gebäuden der beiden dänischen Baumeister gezeigt bzw. in Bauten, die für internationale Verständigung und die deutsch-dänische Verbindung steht. Die Architektur soll erlebbar und zugänglich gemacht werden, sie ist ein Exponat der Ausstellung.

Die späte Moderne und gerade der nordische Funktionalismus ist auch umstritten. Wenn Sanierungen anstehen, wird schnell der Abriss gefordert, weil ein Neubau angeblich günstiger sein soll. Dabei wird außer Acht gelassen: 1. dass es natürlich teuer wird, wenn man jahrzehntelang nur den Notstand in und an den Bauten verwaltet. 2. dass die Spätmoderne viel über den Zeitgeist und den damaligen Zustand Westdeutschlands erzählt – auch über ihren Optimismus und ihr Verständnis von einer offenen, demokratischen Gesellschaft. Diese Lücke in der Wahrnehmung sowie Wertschätzung möchten wir schließen und Menschen für diese Baukunst und ihren Wert sensibilisieren.

9. Was sind die größten Herausforderungen, denen sich Architekten_innen stellen sollten?
Sie werden auf die großen Fragen unserer Zeit mit ihren Mitteln antworten müssen: ein klima- und sozialverträgliches Bauen, eine Umstellung hin zu nachhaltiger Planung und Umsetzung, weg vom gewaltigen ökologischen Fußabdruck von Gebäuden. Immerhin verursachen deren Bau und Betrieb allein in Deutschland 40 % des CO2-Ausstoßes. Gleichzeitig müsste das Thema Wohnen zu einer Art Siedlungsbau des 21. Jahrhunderts führen. Ähnlich wie wir es kennen von den Projekten der Moderne: umfassend, kreativ, groß gedacht und nachhaltig umgesetzt.

10. Du hast als Publizist und Mensch drei Wünsche frei...
Ich hätte Lust, darüber zu schreiben, wie Kinder unsere gebaute Welt wahrnehmen. Als Kurator wünsche ich mir ein Verständnis für den Rang von Kulturarbeit sowie mehr Respekt und Wertschätzung. Das gilt auch für den finanziellen Aspekt. Als Mensch, Vater und Sohn wünsche ich mir eine bessere Impfquote, damit wir alle endlich die Pandemie überwinden.

Eindrücke der Ausstellung „Gesamtkunstwerke“, klick zum Vergrößern

11. Was habt Ihr für 2021 und das nächste Jahr geplant?
Ab November 2021 ziehen wir mit „Gesamtkunstwerke“ von Castrop-Rauxel NRW nach Hamburg ins Jenisch Haus. Dort gastieren wir ab dem 14. November fünf Monate. Ab 29. April 2022 bis Sommer 2022 sind wir in Burgtiefe auf Fehmarn. Danach findet der Abschluss der Deutschlandtour in Mainz statt. Wir planen momentan die Stationen in Dänemark, wo Jacobsen zwar Heldenstatus genießt, aber kaum bekannt ist. Hier zeigen wir, welches große Werk er in Deutschland geschaffen hat zusammen mit dem kongenialen Büropartner Otto Weitling. Wie es weiter geht? „Gesamtkunstwerke, Teil 2“ über andere skandinavische Baumeister in Deutschland und Europa wäre eine schöne Option. 

Weitere Infos auf thelink.berlin, gesamtkunstwerke und Instagram @thelink.berlin.

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