Interview mit Morphine Collective – Markenkommunikation in der Architektur | 10&1 Fragen No. 33

 „Wir sind davon überzeugt, dass gute Architektur nur durch gute Kommunikation entstehen kann. Nur mit der richtigen Kommunikationsstrategie bekommen Büros die Bauherren und Mitarbeitenden, die passgenau mit ihrer Entwurfshaltung und ihren Werten übereinstimmen.”

Morphine Collective ist eine Designagentur aus Hamburg, die sich auf die Agenturbranche spezialisiert hat. Ihre Mission ist, die gesellschaftlich wichtige Aufgabe des Bauens zugänglicher zu machen sowie den Firmen zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen. Dafür entwickeln die Gründer Marcel Mentzel und Viviane Rath passende Design- und Marketingstrategien. Beide sind von Haus aus Innenarchitekten und haben einen Lehrauftrag an der AMD Akademie Mode & Design Hamburg. Dort unterrichten sie das Fach Digitale Gestaltung.

Der Name Morphine Collective ist eine Anlehnung an das Wort Morphologie, also die übergreifende Lehre von Gestalt und Form. Er spiegelt die Gestaltungsphilosophie und das holistisches Designverständnis von Marcel und Viviane. Das „Collective“ im Namen steht für ihre Vision, Grenzen mit der Power des kollektiven Arbeitens zu überschreiten.

 

 1. Viviane, Marcel: Welche Berufung könnte Euch neben Innenarchitektur bzw. der Architekturkommunikation begeistern?
Viviane: Alles, was in den Grundzügen eine bestimmte Schnittstelle mit unseren jetzigen Tätigkeiten hat. Design ist für mich nicht oberflächlich, es hat auch eine soziale oder emotionale Komponente. Das Wesen der Sache zunächst zu erforschen und zu begreifen ist reizvoll, das möchte ich nicht missen.

Marcel: Ich würde mich stärker meiner Kunst widmen – dem Bauen von Skulpturen und Objekten. Derzeit entwickle ich diese als digitale Konzeptarbeiten und wöchentlich auf meinem Instagram Kanal veröffentliche.

2. Gibt es Vorbilder oder generell Menschen, die Euch inspirieren?Viviane: Menschen in meinem persönlichen Umfeld inspirieren mich, und zwar alle auf ihre eigene Art. Sie vereint, dass sie für eine Sache oder ein Thema brennen und es schaffen, mich auch dafür zu begeistern. Das sind Menschen, die etwas verändern könnten.

 Marcel: Mich faszinieren Künstler wie die Gründerin von Maison de Sable Charlotte Tayler oder Andres Reisinger, weil sie die Grenzen zwischen digitalen und physischen Gestaltungswelten sowie Professionen verwischen. Reisinger zum Beispiel hat als 3D-Artist gearbeitet und dann die Chance bekommen, seinen virtuellen Hortensia Chair als echtes Produkt mit MOOOI zu produzieren. Aber auch die Designerin Sabine Marcelis ist für mich ein Vorbild, weil sie auf besondere Weise mit Farben umgeht.

3. Welche Bauten oder Interiors beeindrucken Euch?
Viviane: Spontan fällt mir hier die Maria-Magdalena Kirche in Freiburg-Rieselfeld ein (Anm. der Redaktion: von ksg), die ich vor nicht allzu langer Zeit besichtigt habe. Kirchen ­sind für mich Orte, an denen neben dem physisch-materiellen Raumverständnis auch ein soziologisches und sogar philosophisches diskutiert wird. Als ökumenisches Kirchenzentrum musste bei der Architektur der Maria-Magdalena Kirche räumlich auf die religiösen Zeremonien der beiden christlichen Konfessionen geachtet werden. Gleichzeitig sollte eine offene Atmosphäre für unterschiedliche Glaubensrichtungen geschaffen werden. Selbst als nicht-religiöse Person fand ich hier einen Ort der Ruhe.

Marcel: Mich beeindrucken minimalistische und skulpturale Interior Designs, wie sie das koreanische Studio Unravel oder Berliner Design Studio Gonzales Haase entwerfen. Die szenografischen Entwürfe geben Räumen eine starke künstlerische Ausdruckskraft, auch durch die Materialwahl. Das Herausragende ist, dass mit dieser Gestaltung starke Marken entstehen.

4. Wie wichtig sind Musik und Bücher für Eure Kreativität?
Viviane: Elektronische Musik. Gelegentlich auch klassische, dann aber Klaviermusik von Chopin zum Beispiel. Die Schnittstelle findet sich in der Kontinuität des Rhythmus, welcher mir dabei hilft in Themen einzutauchen. Und da ich vorhin von der Soziologie des Raumes gesprochen habe: Das Buch „Räume, Orte, Grenzen“ von Markus Schroer war und ist für mich in diesem Zusammenhang sehr sinnbildend.

Marcel: Musik ist für uns sehr wichtig. Das lässt sich schnell an den großen Analog-Lautsprechern in unserem Studio erkennen. Zuletzt hat mich das Buch „The Brand Gap“ von Marty Neumeier sehr beeindruckt. Es hat mir viele Aha-Momente beschert, was das Thema Markenbildung angeht.

5. Was sind die dringlichsten Probleme der Bau- und Architekturbranch?
Marcel: Verbunden mit der großen Agenda der Nachhaltigkeit, muss sich das Bauen grundsätzlich neu erfinden. Dazu braucht es passende gesetzliche Rahmenbedingungen. Und das grundlegend neue Verständnis in der Lehre statt des Neubaus den Bestand in den Mittelpunkt zu stellen. Damit einher gehen auch eine Neudefinition des Berufsstandes und möglicherweise eine neue Definition von Ästhetik in der Architektur.

Viviane: Im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Aufgabe der Nachhaltigkeit wird das Bauen erklärungsbedürftiger. Menschen wollen besser informiert werden und Social Media kann sehr dabei helfen, eine Community aufzubauen. Darüber können Architekturbüros nicht nur potenzielle Bauherren finden, sondern auch neue Team-Members. Durch strategische Kommunikation finden Architekturbüros auch leichter passende Auftraggeber. Dieses Matching führt auch zu einem deutlich harmonischerem Projektverlauf und somit letztlich zu besserer Architektur. Da sehen wir bei den Büros viel Luft nach oben. Andere Branchen nutzen die Power der Sichtbarkeit längst, um sich als Unternehmens- sowie Personenmarke mit ihrer Zielgruppe zu verbinden. Seien dies Kunden oder neue Mitarbeitende.

6. Ihr kommt selbst aus der Architektur- bzw. Innenarchitektur und habt für verschiedene Kunden Projekte realisiert. Außerdem seid Ihr Dozenten. Wie kamt Ihr darauf, Morphine Collective zu gründen?

Schon im Gründungsjahr 2019 haben wir bei unseren Bauprojekten auch das Brand-Design konzipiert und über Markenentwicklung nachgedacht. Der Groschen fiel, nachdem wir für Architekturbüros Interior Entwürfe oder Renderings für Präsentationen erstellt hatten.

Als Insider verstehen wir die Branche und sehen gleichzeitig das Potenzial von Architekturkommunikation und -visualisierung. Das trägt nämlich zu einem besseren Verständnis auf Seiten von Bauherren, Medien und Öffentlichkeit bei. Architektur und Innenarchitektur werden somit zugänglich und erlebbar. Denn letztlich können die Planer-innen nur so gut bauen, wie es die Auftraggeber auch zulassen. Deshalb sehen wir unsere Aufgabe darin, gutes Bauen durch gute Kommunikation zu ermöglichen.

7. Wie kommt es, dass viele Büros skeptisch sind gegenüber sozialen Medien und Marketing, während andere Unternehmen Chancen sehen? Oder professionelle Websites und Kommunikationsmaßnahmen für nicht wichtig genug erachten?
Aus unserer Sicht entwickelt sich die Architektur- und Baubranche im Vergleich zu anderen deutlich langsamer. Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass Projekte teilweise Jahre lang andauern. Oft ist kurz vor Abschluss schon das nächste Projekt angekündigt und man taucht wieder ab. Da kann es schon mal passieren, dass einige neue „Trends“ an einem vorbeiziehen. Hinzu kommen regulatorische Maßnahmen wie die HOAI (Honorarregelung) oder auch das einstige Werbeverbot. Diese haben das Mindset der Branche über lange Zeit geprägt.

Ein Architekt mit zehn Angestellten begreift sich unserer Einschätzung nach nicht selbstverständlich auch als Unternehmer. Im Mindset von Unternehmern sind Markenkommunikation, Marketing sowie systematische Akquise fest verankert und Teil der Geschäftsstrategie. Sichtbarkeit und Differenzierung vom Wettbewerb sind aber essenziell bei inzwischen rund 40.000 Architekturbüros hierzulande.

8. Wo liegt größte Handlungsbedarf bzgl. Kommunikation? Was müsste sich ändern z.B. im Mindset
In der Aufklärung, was Markenkommunikation bedeutet. Es geht weder um Marktschreierei, geschweige um leere Versprechen oder ein „Zurechtbiegen“ für den richtigen Auftritt. Es geht einfach darum, authentisch zu sein und mit verschiedenen Methoden Transparenz zu schaffen. Und gute Kommunikation beruht auch auf Kontinuität. Das ist bei zwischenmenschlichen Beziehungen so und bei beruflichen nicht anders.

Wir leben schon seit Jahrzehnten im Überkonsum. Entsprechend geht es bei Dienstleistungen oder Produkten nicht mehr um das Was, sondern um das Wie und das Warum. Jeder, der als Geschäftsführende oder selbstständige Person einer Tätigkeit nachgeht, tut das wohl aus einem bestimmten Grund. Es geht darum, diesen verständlich und schlüssig zu kommunizieren.

 An der Uni liegt unser Fokus momentan darauf, die Studierenden für das Thema KI zu sensibilisieren. Wir unterrichten das Fach Digitale Gestaltung. Deshalb gehen wir der Frage nach, in welchen Phasen der Entwurfs- und Gestaltungsprozesse es sinnvoll ist, künstliche Intelligenz einzubinden. Dabei sehen wir eine starke Ähnlichkeit zu der Erfindung der Fotografie und deren Einfluss auf die Kunstwelt Anfang 19. Jahrhunderts. Es ist wichtig zu akzeptieren, dass diese Entwicklungen stattfinden und sich damit frühzeitig auseinander zu setzen.

9. Wie unterstützt Ihr Unternehmen und welche sind der ideale Fit?
Wir sehen einen großen Fit bei den Büros mit fünf bis 25 Mitarbeitenden, die noch kein Inhouse-Team für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit haben. Für die sind wir als Agentur ein guter Partner, um diese Arbeiten zu übernehmen – sozusagen als externe Kommunikationsabteilung. Denn mit dem Blick von außen können wir die Einzigartigkeit der Büros besser herausarbeiten als die Inhaber oder Mitarbeitenden.

Wichtig ist, dass diese Büros bereit sind für Veränderung. Dass sie den Weg konsequent gehen wollen und ihn als Investment in ihre Zukunft begreifen. Kommunikation und Sichtbarkeit sind kein Sprint, sondern ein Marathon. Es braucht ein gewisses Commitment, damit Maßnahmen erfolgreich sind.     

10. Was habt Ihr für dieses Jahr geplant, wo soll die Reise hingehen?
A: Wir wollen unsere Spezialisierung ausbauen, also noch besser verstehen, wie wir Architekturbüros z. B. auch bei Wettbewerbseinreichungen unterstützen können. Zudem haben wir mit der neuen Kollaboration mit Dir einen großen Schritt gemacht, die Qualität unserer Arbeit nochmals auf ein neues Level zu heben. Je mehr wir uns in unserem Leistungsportfolio Richtung ganzheitliche Markenkommunikation bewegen, desto stärker können wir unsere Kunden entlasten. Denn so stehen sie nicht in der Verantwortung, zwischen unterschiedlichen Parteien zu vermitteln. In 10 Jahren wollen wir die führende Agentur für Architekturkommunikation sein, mit einem hohen künstlerischen Anspruch und einem wachsenden Team in unserem Kollektiv aus unterschiedlichsten Disziplinen.

11. Ihr habt jeweils drei Wünsche frei, welche?
Viviane: Eine Armee an Rechnern, die mir meine Blender Animationen rendern. Ein Projekt im Ausland. Mal eine Woche ohne Wind und Regen.

Marcel: Ich möchte meine eigene Möbelkollektion produzieren, einen Club eröffnen und das Brand Design für das Wiener Architekturbüro Delugan Meissl machen. 

Weitere Infos > morphine-collective.de sowie @morphine.collective

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