Architekten produzieren zu viel weißes Rauschen

Ein Klartext an Architekten. Manchmal ist es besser, nichts zu äußern als bemüht zu schwafeln. Das geht gerne mal nach hinten los.⁠ ⁠Schreiben und klare Aussagen zu treffen, zählt nicht zu den Stärken der (meisten) Architekten. Muss es auch nicht. Euer Fokus liegt darin, zeitgemäße Architektur zu entwerfen, die Nutzern und Umfeld dient.

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Interessante Beobachtung: Insbesondere junge Bürogründer mit überschaubarer Erfahrung neigen offenbar dazu, Texte kompliziert zu formulieren und Phrasen zu dreschen. Vermutlich in dem Bemühen, mit bedeutungsschweren Aussagen oder „kernigen Botschaften“ zu beeindrucken und akzeptiert zu werden. Sei es bei der Peergroup – gestandenen Mitbewerbern – oder beim Branchenumfeld, bei Auslobern von Wettbewerben und potenziellen künftigen BauherrnInnen.

Wir sind Akademiker!

Auf manche Aussagen bin ich in Interviews und auf Websites gestoßen. Zuletzt fiel mir das bei einem Kundenprojekt auf. Als darum ging, die Tonalität für das Büro zu entwicklen, verblüffte mich, welche Vorstellung die jungen Architekten von „guten“ Texten hatten, Tenor: „So wie auf der Website von XY, das wollen wir auch…!“ Ach ja, nur standen dort auch die gewohnten Plattitüden wie etwa „… unser Fokus liegt auf dem Wesentlichen, fühlen uns der Baukultur und der Gesellschaft verpflichtet etc...“ Auch was aus Sicht des Architekturbüros wissenswert für potenzielle Kunden sein könnte, war seltsam: „Wir sind Akademiker, das ist interessant!“ Echt jetzt? Ein Studium wird vorausgesetzt, zumindest hierzulande. Wichtiger war hingegen – und somit wertvoll für die Positionierung –, dass einer der beiden Architekten ausgebildeter Schreiner ist.

Sprachlich dicke Bretter bohren

Hier ein Beispiel aus besagtem Interview. Frage an zwei Architekten Anfang 30, was sie inspiriert, Antwort: „Architektur wird von der kulturellen Logik einer Zeit durchdrungen, als Medium macht sie diese Durchdringung für die Gesellschaft sinnlich erfahrbar. Das Entwerfen als Vorgang, der zwischen objektiven und subjektiven Momenten oszilliert, lässt natürlich auch die eigene Biografie und das Unterbewusstsein erkennen. ⁠In einer Zeit, die von Rationalität, Ökonomie und Sicherheit geprägt ist, fasziniert uns das Irrationale am Prozess, das Mystische, das zum Schluss doch immer konkret wird, wenn es zur Realisierung kommt.
(…) Natürlich setzen wir uns intensiv mit der Architekturgeschichte auseinander oder interessieren uns für artverwandte Disziplinen wie Kunst oder Literatur. Doch sind es am ehesten die Erfahrungen mit der Architektur, die kontinuierlich synthetisiert und weiterentwickelt werden.”⁠

Wow, da wird versucht, so richtig dicke Bretter zu bohren. Könnte ich hier farblich markieren, wäre alles Rot vor lauter sprachlicher Flatulenz (zu Deutsch: Blähung). Mal abgesehen davon, dass die „Biografie“ bzw. die Erfahrung der Bürogründer noch nicht so umfangreich sein dürfte: Es wirkt gestelzt, abgehoben und ist auch unpräzise. Vermutung: Das wurde nicht spontan in dem Interview geäußert, sondern schriftlich vorformuliert.⁠ Und selbst wenn nicht: Dieses offensichtliche Bemühen, mangelnde Erfahrung zu kaschieren und mit hochtrabenden Aussagen beim Bildungsbürgertum zu punkten, wirkt aufgesetzt. ⁠

Eine Verbindungshalle wird als Geste gelesen…

Ein anderes Beispiel aus einer Projektbeschreibung, in dem Fall aber von einem gestandenen Architekturbüro: „Der neue Stadtbaustein Schule ist als komplexes, minimales Volumen auf dem städtebaulichen Abdruck der ehemaligen anglikanischen Kirche platziert. Die erdgeschossige Transparenz der Komposition aus Schulneubau und Verbindungshalle wird als eine Geste gelesen, welche diese Bauteile vom Erdboden enthebt...“⁠ Warum nicht klar beschreiben und sagen, was Sache ist, etwa so: Der Schulneubau steht auf dem Grundstück einer ehemaligen Kirche. Erdgeschoss und Verbindungshalle sind als umlaufende Glasfassade ausgeführt, durch die das Licht flutet. Alle Räume sind hell und freundlich. Diese Offenheit nimmt dem Kubus die Strenge: Die beiden aufgesetzten Stockwerke scheinen über dem Parterre zu schweben.⁠

Beseelt von der eigenen großen Idee

Zum Abschluss ein sehr interessantes Zitat von den Architekten Franz und Sue aus Österreich, es stammt ebenfalls aus der erwähnten Publikation (33 Interviews). Auf die Frage, worüber Architekten reden, einen Diskurs anzetteln sollen, antworteten sie:
„… Ein zweites Feld ist die Kommunikation unseres Berufsstandes nach außen. Dass wir außerhalb unserer Community so sperrig wahrgenommen werden, hat schon auch mit uns selbst zu tun. Wir sollten dringend eine Sprache entwickeln, die auch verstanden wird. Oft sind wir so beseelt von der eigenen großen Idee (…), dass wir vergessen, die Gegenseite mit ihren Anliegen wahrzunehmen und zu respektieren. Es wäre wichtig, hier dialoghafter vorzugehen.” Wow, dem ist nichts hinzuzufügen, außer: vorbildlich diese Einsicht! (Aus dem Buch: 33 Interviews zur Architektur, nextroom.at).

Immer schön auf dem Boden bleiben

Fazit: Architekten, bleibt bei Euren Leisten, also dem Entwerfen und Planen. Und macht Euch klar, wie wichtig gute Kommunikation und Texte für die Positionierung sind. Architektur ist und bleibt erklärungsbedürftig und Bodenhaftung ist gefragt. Mit schlecht formulierten Texten gespickt mit Fach-Sprech, die dem „gesellschaftspolitsch-kulturellem Duktus“ frönen, schafft Ihr nur Distanz zu Menschen = Nutzer, Umfeld, potenzielle Kunden. Stellt Euch, Eure Projekte und Haltung mit klarer, anschaulicher Sprache und verbindlichen Ansagen dar. Damit baut Ihr Brücken, schafft Vertrauen und begeistert andere für zeitgemäße Architektur. Darum geht es!⁠ Wenn Ihr Euch zu sehr damit abmüht, sucht Euch professionelle Texter oder Agenturen. Denn wie mehrfach erwähnt: Es gibt hierzulande rund 140.000 Architekten in 39.500 Büros.

Warum Architektur erklärungsbedürftig bleibt, lest Ihr in dem Beitrag: Zeitgemäße Architektur polarisiert – immer noch.

Zehn Tipps für zielführende Kommunikation gebe ich im textart Manifest für Architekten und Planer. Lest doch mal rein.

Ich freue mich übrigens sehr über einen Kommentar oder ein Like, denn da steckt viel Know-how drin, das ich gerne mit Euch teile 🙂.